Hypnotherapie
Ich habe mich scheußlich aufgeregt über Hypnotherapie – ein Verfahren, was (soweit ich es kapiert habe) durch Suggestion eine Trance erzeugen soll, um dann, wenn die bewußte Kontrolle bzw. die Funktionen des Frontalhirns reduziert sind, nach neuen und kreativen Problemlösungen zu suchen, die bereits im Unbewußten bereit liegen.
Für mich ist das blanke Esoterik. Und weder ethisch vertretbar noch rational nachvollziehbar, von wissenschaftlicher Evidenz keine Spur. Eher ist es Unsinn, und ich denke, es kann durchaus Schaden anrichten. Notwendig oder hilfreich oder auch nur für mich vertretbar ist es jedenfalls nicht.
Was mich besonders stört: Wie in die Psychotherapie mehr und mehr praktisch beliebige neue heilsversprechende Lehren integriert werden, die alle rein gar nichts mit der ursprünglich strikt lerntheoretischen Grundlage der Verhaltenstherapie zu tun haben.
Selbstkritisch mag ich anmerken, dass mein enormer Ärger – dem ich dann auch Ausdruck verschafft habe im Seminar, sehr zum Leidwesen der anderen Leute – möglicherweise genau deswegen so raus geplatzt ist, weil Hypnotherapie wirkt.
Ich habe sehr viel aufgestauten Ärger in mir, den ich aber bewußt kontrolliere. Hauptsächlich, weil ich damit nicht umzugehen weiß und ungern Schaden anrichten möchte. Dann haben wir eine Gruppen-Trance gemacht, und whoops – ich platze vor Ärger. Allerdings wäre – falls das zutrifft – es auch ein guter Beleg dafür, dass diese Technik möglicherweise zu wenig vorhersehbaren Effekten führt. Außerdem hätte dann der Leiter die Verantwortung für meinen Affekt-Durchbruch … so gesehen mies, mich dafür dann zu maßregeln.
Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Psychologische Psychotherapeuten (PsychTh-APrV) sagt im §1 Absatz 1:
„Die Ausbildung der Psychologischen Psychotherapeuten erfolgt auf der Grundlage von Ausbildungsplänen und erstreckt sich auf die Vermittlung von eingehenden Grundkenntnissen in wissenschaftlich anerkannten psychotherapeutischen Verfahren
sowie auf eine vertiefte Ausbildung in einem dieser Verfahren.
Sie ist auf der Grundlage des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes praxisnah und patientenbezogen durchzuführen.“
Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie von 2006:
„Die Hypnotherapie kann nicht als Verfahren für die vertiefte Ausbildung zum
Psychologischen Psychotherapeuten entsprechend § 1 Abs. 1 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Psychologische Psychotherapeuten empfohlen werden (…) „.
Wieso? Weil es keine ausreichenden wissenschaftlichen Belege für Wirksamkeit gibt. Nicht mal einen Wirkmechanismus gibt es, der in irgend einer Form nachvollziehbar oder belegt wäre. Ganz zu schweigen von trennscharfen Abgrenzungen von Hypnose, Trance, meditativen Zuständen etc. Was zugleich eindeutig ist: Es wird eine nicht transparente Beeinflussung von Patienten durch Suggestionen versucht – eine Methode, die so etwas macht, ist auf keinen Fall Verhaltenstherapie, sondern hat darin ganz im Gegenteil NICHTS verloren.
Dessen ungeachtet ist „Hypnotherapie“ verpflichtender Teil meiner Ausbildung – kostet mich also Geld, Zeit und Nerven. Was bei einem Menschen wie mir unweigerlich dazu führt, dass ich dagegen scharf protestiere.
Leute haben im Laufe meines Lebens gelegentlich gesagt, ich sei zwanghaft und „persönlichkeitsgestört“, rechthaberisch, unangenehm. Mag sein. Und wenn schon? Heutzutage ist es bereits eine psychische Krankheit, überhaupt einen Charakter zu besitzen. Und hochgradig suspekt, wenn ein Mensch mit akademischer Bildung und Verstand sich entschieden und eindeutig äußert – weil die Erkenntnis, dass alles konstruiert ist, zu der komplett falschen Folgerung führt, dass alles beliebig sei. So ist das aber eben nicht. Sondern – es ist ein stetes Ringen darum, eine sich entwickelnde und immer weiter verbesserte Annäherung der Theorie und der sie konstituierenden Hypothesen an die Wirklichkeit zu schaffen. Wichtigstes Prinzip dabei: Die Falsifizierbarkeit. Aussagen müssen durch Experimente prüfbar sein. Denn andere Mittel gibt es nicht, etwas als unwahr zu beweisen. Und ebenso wesentlich: Wenn etwas unprüfbar ist, ist es keine mögliche wissenschaftliche Aussage. Drittens: Was sich als falsch herausstellt, gehört sofort und dauerhaft aus den Lehrbüchern entfernt. Beziehungsweise es steht dann dort: Die Theorie xyz konnte nicht belegt werden und gilt daher heute als obsolet. Was ich aber immer wieder erlebe: Es wird als angeblicher Beleg für Wahrheit die Behauptung angeführt, es handele sich um sehr altes Menschheitswissen. Da könnte ich immer sofort ausflippen. Sehr alt = sehr veraltet, nicht „sehr wahr“. Beispiele gefällig: Die Erde ist keine Scheibe, die Sonne dreht sich nicht um die Erde, die Sterne hängen nicht an einem Firmament etc.
Wohlgemerkt, wer sich weiterbilden will, kann beliebige Lehren von beliebigen Lehrer*innen für sich erkunden, das ist mir vollkommen schnuppe. Ärgern tue ich mich allerdings, wenn ich als wissenschaftlich orientierter VT-ler gezwungen bin, mir mehrere Tage lang Sachen brav schweigend anzuhören, die ich für völlig abwegig und bestenfalls nutzlos halte.
Ich habe mich daher beschwert, zunächst in einer Mail an die Ausbildungsleitung der AVT:
Als Protestform habe ich einen offenen Brief geschrieben, weil meine Erfahrung immer gezeigt hat, dass private Gespräche regelmäßig nur dazu dienen, mich mundtot zu machen und Zeit zu gewinnen, um mir weitere Steine in den Weg zu legen:
Ausbildung Verhaltenstherapie – offener Brief an die AVT betreffend den Kursinhalt Hypnotherapie
Ich habe den Umgang mit mir als Person und meine Einwände aufgeschrieben:
Vorkommnisse Seminar Hypnotherapie AVT 2017-04-29
Gutachten von 2006: Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie – Gutachten zur wissenschaftlichen Anerkennung der Hypnotherapie
Studienlage: Studien, die dem Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie vorgelegt wurden – Überblick
Cochrane Institute – der Goldstandard für Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesen: http://www.cochrane.org/about-us
Das Cochrane Institute hat zu „Hypnotherapie“ bezogen auf diverse Bereiche die vorhandenen Daten aggregiert und ausgewertet – jeweils mit dem gleichen Ergebnis: Keine Evidenz.
Wieso die AVT die „Hypnotherapie“ im Curriculum hat, liegt darin begründet, dass einer der drei Geschäftsführer sowohl „Hypnose“ als auch „systemische Aufstellung“ neben VT praktiziert.
Zur Erinnerung: Bevor 1999 das Psychotherapeuten-Gesetz verabschiedet wurde, gab es keinerlei Regelungen, wer oder was eigentlich als „Psychotherapie“ gelten könnte oder eben nicht. Seit 1999 ist das geregelt. Ab da ist ein Psychologischer Psychotherapeut jemand, der a) einen Abschluß im Studienfach Psychologie aufweist und b) in einem anerkannten Verfahren als ausgebildet gelten darf.
Was darf mit der Krankenkasse bzw. der Kassenärztlichen Vereinigung abgerechnet werden? Verhaltenstherapie (VT), Psychoanalyse (PA), Tiefenpsychologie (TP).
Was darf nicht abgerechnet werden? Von den häufigeren Verfahren wären das vor allem Systemische Therapie, Gesprächstherapie, Paartherapie. Diese Therapieformen sind – bei entsprechendem Behandlungswunsch – privat erwerbbar. Alle sonstigen Formen von „Psychotherapie“ – wie etwa Aufstellung, Hypnose, NLP, EMDR, um nur einige zu benennen – sind beim Psychologischen Psychotherapeuten als zusätzliche Angebote oder auch beim Heilpraktiker Psychotherapie oder auf dem freien Markt – wo sich die Angebote der sogenannten Esoterik tummeln – zu finden.
Wer darf abrechnen? Praktisch alle, die vor 1999 Psycholog*innen waren und irgendwie „Therapie“ angeboten hatten, bekamen einen Kassensitz geschenkt. Ich wiederhole: GESCHENKT. Diese Sitze (Abrechnungsgenehmigung mit der Kassenärztlichen Vereinigung) verkaufen die alteingesessenen Therapeuten heute teuer weiter – für 50.000 bis 70.000€ geht so ein Kassensitz in der Stadt an Nachfolger weiter.
Und die auf die Approbation (staatliche Prüfung) vorbereitende Ausbildung verkaufen sie uns für a) 18 Monate unbezahlte „praktische Tätigkeit“ sowie b) 25.000-30.000€ (Verhaltenstherapie) bzw. deutlich teurer in den Verfahren TP und PA.
Nun darf man gerne raten, woher eine Menge von dem Ärger in mir wohl herrührt.
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Filed under: Arbeit,Psychologie - @ April 29, 2017 10:57 pm
Schlagwörter: "Hypnotherapie", Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten, Cochrane Institute, Gutachten, wissenschaftliche Evidenz, Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie