Zukunft des Ressentiments
Die Heimatlosigkeit im Universum und der bedrohende eigene Tod sind unangenehme Fakten, denen mit einer irrationalen Wendung zu begegnen – ‚den Glauben finden‘ – wohl alternativlos ist (für die Bequemen).
Die Trends zur Auflösung des Selbst in einer beliebigen Masse bzw. die Fusion mit einer Idee von Gott, Nation, Bewegung, etwas Größerem als uns selbst, was ist das sonst als der Versuch, die existentielle Verzweiflung in etwas Gemeinschaftlichem aufzulösen – der Stamm, die Sippe, die Kultur, die Religion, der Staat etc. sind Konstruktionen, die die Einzelnen in ein Projekt und einen Mythos einbinden. Möglicherweise brauchen wir Menschen das zur Orientierung, es ist aber auch Quelle der zerstörerischen Dinge. Wer ist Freund und wer Feind – ein solches Bezugssystem geht ja nicht ohne Ideologie und basiert letztlich auf dem sinnstiftenden Element des Kampfes gegen die Anderen und dem Schutz der Eigenen – mit wechselnden Koalitionen, das macht es so spannend und vielseitig. Und halt mörderisch. Das Bindungshormon Oxitocyn steuert solche Verhalten, es scheint so zu sein, dass Babys das ausdünsten und es beim Kuscheln entsteht, und es macht ganz weich und sanft und zugewand – evolutionär sinnvoll, sonst würden solche kleinen wehrlosen Wesen kaum durch kommen – und macht zugleich extrem bereit zu Aggression gegen (vermeintliche und echte) Bedrohungen. Steile These nun, genau darum geht es beim geteilten Ressentiment: Gemütlichkeit herstellen, ein ‚Wir‘ – das geht nur als Abspaltung von negativen Emotionen, die gegen Dritte neu gerichtet werden; unter einander Einigkeit und Liebe, das bedeutet immer ‚das Böse ist nur da draußen bei den Anderen‘.
Bewegungen, die sich mit dem größeren Körper identifizieren, von dem sie ein Teil waren und weiter sein wollen – Mama, Papa – bzw. das übertragen auf idealisierte Personen – Politiker und religiöse Führer – sind genau über dieses Bindungsangebot interessant für Menschen. Regression, kindliche Verarbeitungsmechanismen, das setzt ein, wenn bei Menschen die höheren Systeme überfordert sind – und dann kommen Papas wie Putin, Trump, Erdogan, Hitler … jedenfalls Heilsbringer-Inszenierungen, die die wesentlichen Dinge sagen – du bist ein geliebtes Kind, du bist nicht allein, ich bin stark und schütze dich, wir halten zusammen, die kriegen uns nicht klein … vermutlich kann kein Mensch einem solchen Angebot von Trost widerstehen, auch wenn es gelogen ist. Nationalismus, damit beschäftige ich mich, weil es um mich rum so dumpf tönt. „Wir sind die geborenen Guten“, eine Super-Sache — das ermöglicht auch eine Entsorgung von Zweifel (‚gut‘ ist relativ und letztlich willkürliche Definitionssache) und lästiger Moral (wo ‚gut‘ nur Handlungen im Hier und Jetzt sein können).
Gleichzeitig ganz logisch und sehr unheimlich ist die totale Ermächtigung. Wir dürfen alles. Wir sind im Recht und werden siegen. Gott mit uns. Wenn Einzelne so drauf kommen, werden sie mit Recht für gefährliche Verrückte befunden. Anders bei großen verrückten Gruppen, wo es möglich ist, dass sich viele Leute gegenseitig bestätigen, dass alles im grünen Bereich ist. Was dem folgt, sind in der Regel die Kriege (Abschlachten der Zivilisten). Muss das sein, muss man das jetzt wieder akzeptieren, ist es halt so? Ich weigere mich, das als gegeben zu nehmen. Mitmachen, weil das normal ist? Und wenn die verrückte Gruppe groß genug ist, dann definiert sie die Normalität. Aber eben nicht ganz – sie braucht ja den Gegenpol zur Definition, und dann ist es Ying-Yang und wieder alles in Bewegung.
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Filed under: Philosophie,Uncategorized - @ November 17, 2016 7:41 am
Schlagwörter: Abspaltung, Bindung, Gruppe, Küchenpsychologie